Visuelle Reizverarbeitung
Visuelle Reizverarbeitung, pixabay/Foto illustrativ

Mit Hilfe neuer KI-Modelle analysierten Forschende die komplexe Funktionsweise des Sehsystems im Gehirn. Das internationale MICrONS-Team veröffentlichte dazu mehrere Studien in renommierten Fachzeitschriften. Ihre Arbeit könnte langfristig die Planung neurowissenschaftlicher Experimente grundlegend verändern.

Inhaltsverzeichnis:

Universität Göttingen entwickelt Modell zur Reizvorhersage

Die entwickelten Modelle sind das Ergebnis einer umfangreichen Analyse von mehr als 135.000 Nervenzellen. Dabei lag der Fokus auf deren Struktur, Aktivität und Verbindungsmustern.

Ein neues KI-Modell sagt zuverlässig neuronale Reaktionen auf bisher unbekannte visuelle Reize voraus. Es basiert auf Daten aus dem Sehsystem von Mäusen. Entwickelt wurde es unter Mitwirkung von Prof. Dr. Fabian Sinz von der Universität Göttingen.

Das Modell analysierte unter anderem Reaktionen auf kohärente Bewegungen, Rauschbilder und statische Naturaufnahmen – Reize, die im Training nicht enthalten waren. Das deutet auf eine hohe Generalisierungsfähigkeit des Systems hin. Die zugrunde liegende Studie wurde unter dem Titel „Foundation Model of Neural Activity Predicts Response to New Stimulus Types and Anatomy“ veröffentlicht.

Alexander Ecker untersucht Pyramidenzellen im visuellen Kortex

Ein weiterer Schwerpunkt der Forschung lag auf den Pyramidenzellen im Sehzentrum des Gehirns. Diese Nervenzellen leiten zentrale Informationen weiter und weisen eine pyramidenartige Struktur auf.

Prof. Dr. Alexander Ecker, ebenfalls von der Universität Göttingen, leitete die Studie „An unsupervised map of excitatory neurons’ dendritic morphology in the mouse visual cortex“. Mithilfe maschineller Lernverfahren entwickelten die Forschenden eine Methode zur Kodierung der komplexen 3D-Form dieser Zellen. Etwa 30.000 Nervenzellen wurden analysiert.

Die Ergebnisse zeigen, dass es bei Pyramidenzellen fließende Übergänge zwischen verschiedenen Typen gibt – eine wichtige Erkenntnis für die Klassifizierung neuronaler Zelltypen.

Der größte Datensatz aus einem Säugetiergehirn

Im Rahmen des MICrONS-Projekts entstand der bisher größte strukturierte Datensatz zur visuellen Verarbeitung im Gehirn eines Säugetiers. Der sogenannte „MICrONS Multi-Area Datensatz“ vereint Informationen über Struktur, Verschaltung und Reaktionen von Nervenzellen.

Das Projekt wurde gemeinsam mit Einrichtungen wie dem Baylor College of Medicine, dem Allen Institute for Brain Science und der Princeton University durchgeführt. Ein digitaler Zwilling der untersuchten Zellen wurde entwickelt, der die Form von Pyramidenzellen vorhersagen konnte – auch ohne anatomische Trainingsdaten.

Diese Fähigkeit deutet auf einen engen Zusammenhang zwischen Funktion und Anatomie hin. Die Ergebnisse wurden in der Studie „Functional Connectomics Spanning Multiple Areas of Mouse Visual Cortex“ beschrieben.

Potenzial für künftige Forschung in der Neurowissenschaft

Die Forschungsergebnisse ermöglichen neue Wege in der Planung neurologischer Experimente. Statt zunächst im lebenden Tier zu testen, könnten Hypothesen künftig mithilfe von Modellen überprüft werden.

Diese in-silico-Methoden sparen Zeit und Ressourcen. Sie könnten künftig helfen, nur die vielversprechendsten Ideen in aufwändigen in-vivo-Versuchen weiterzuverfolgen.

Die Arbeiten aus Göttingen und dem MICrONS-Team liefern damit einen zentralen Beitrag zur modernen Hirnforschung.

 Quelle: George-August-Universität-Göttingen